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Umstrittener Migros-Manager Jörg Blunschi tritt per sofort zurück

Der Migros-Turbo ist verpufft: Der umstrittenste Manager tritt per sofort zurück

Jörg Blunschi wollte mit Auslandsgeschäften bei der Migros hoch hinaus, hinterliess jedoch Millionenverluste. Nun holen diese ihn ein. Es ist ein unschönes Ende einer langen Migros-Karriere.
20.03.2025, 09:2620.03.2025, 09:26
Florence Vuichard und Stefan Ehrbar / ch media
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Es war eine befremdliche Wahl. Ausgerechnet Jörg Blunschi, der zuvor als Chef der Regionalgenossenschaft Zürich mit seinem Deutschland-Abenteuer Millionen verspielt hatte, wurde am 30. Juni 2024 zum Präsidenten der Migros Aare gewählt. Das Signal jedenfalls war verheerend: Während die Migros wegen des aufgrund von Managementfehlern nötig gewordenen Radikalumbaus Hunderte von Mitarbeitenden auf die Strasse stellt, werden die erfolglosen Manager selbst «befördert».

Von der Vergangenheit eingeholt: Jörg Blunschi nimmt nach nicht einmal neun Monaten bei der Migros Aare den Hut.
Von der Vergangenheit eingeholt: Jörg Blunschi nimmt nach nicht einmal neun Monaten bei der Migros Aare den Hut.Bild: zvg

Das Unverständnis hielt bis zuletzt an, die Negativschlagzeilen jedenfalls rissen nicht ab. Nun zieht Blunschi die Reissleine: Er habe sich entschieden, «per sofort» sein Amt als Verwaltungsratspräsident der Migros Aare niederzulegen. Das teilte die Regionalgenossenschaft, die sich über die Kantone Aargau, Bern und Solothurn erstreckt, am Donnerstagmorgen mit.

Die Dauerkritik wurde für die Migros Aare zur Belastung, aber auch für Blunschi persönlich und sein Umfeld, wie der Medienmitteilung zu entnehmen ist: «Die anhaltende mediale Berichterstattung über seine frühere Tätigkeit als Geschäftsleiter der Migros Zürich führte zu inakzeptablen persönlichen Angriffen auf Jörg Blunschi und seine Familie und hatte negative Auswirkungen auf die Migros Aare.» Der Rücktrittsentscheid sei ihm nicht leicht gefallen, hält Blunschi selbst fest. «Um Schaden von der Migros Aare abzuwenden und um meine Familie zu schützen, habe ich mich zu diesem Schritt entschieden.»

Ausland als Chance

Jörg Blunschi, der 2010 bei der Zürcher Regionalgenossenschaft den Chefposten übernommen hatte, galt lange als Vorzeigemanager im Migros-Universum, als einer, der anpackt, ein Turbo und Macher, ein Farbtupfer in der grauen Migros-Genossenschaftswelt. Zürich war schon lange zu klein für ihn geworden, doch im Rennen um den Migros-Konzernchefposten musste er Anfang 2018 Fabrice Zumbrunnen den Vorrang lassen. Also fokussierte er sich weiterhin aufs Ausland. Und das, obwohl er aus eigener Erfahrung wusste, wie schwierig das sein kann. So war Blunschi, damals noch im Dienste der Basler Genossenschaft, verantwortlich für die Expansion im süddeutschen Raum, die letztlich 2013 aufgegeben werden musste.

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Derzeit fokussiert sich die Migros wieder aufs Kerngeschäft.Bild: keystone

Aber er blieb zuversichtlich, verstand das Auslandsgeschäft weniger als Risiko denn als Chance. Mit dem Kauf der deutschen Supermarktkette Tegut 2012 sei ihm ein «wahrer Coup» gelungen, urteilte denn auch die NZZ optimistisch. Doch das war Blunschi nicht genug. Kurz darauf stieg er bei Fitnessstudios in Deutschland, Österreich und Belgien ein und holte die deutsche Biokette Alnatura in die Schweiz.

Die Fitness-Ausbaupläne wurden beerdigt, die Geschäfte im Ausland vor rund drei Jahren wieder verkauft. Offiziell wurde das Fiasko mit Corona begründet, aber da gab es auch eine gewagte Wette, welche die Migros sehr teuer zu stehen kam: Ihre Studios in Deutschland hatten vor dem Fussball-WM-Spiel zwischen Brasilien und Deutschland allen Neukunden 10 Prozent Rabatt versprochen – und zwar für jedes Tor, das die Deutschen mehr schiessen würden als die Brasilianer. Auf dem Rasen resultierte ein 7:1 für Deutschland, und die Migros musste nun Neumitgliedern 60 Prozent Rabatt anbieten, von denen viele nach der Aktion wieder absprangen.

Alnatura wird gestoppt, der Gastro-Supermarkt-Tempel verkauft

Im Februar dieses Jahres trat die Migros auch beim Alnatura-Abenteuer auf die Bremse. Sie gab bekannt, dass sie den Franchise-Vertrag nicht verlängern wird. Was mit den aktuell 25 bestehenden Alnatura-Läden in der Schweiz geschieht, ist noch unklar.

Nicht zum Fliegen gebracht hat die Migros Zürich auch das «Bridge», ein Gastronomiekonzept an der Europaallee beim Zürcher Hauptbahnhof. Mit einer Mischung aus Essens- und Getränkeständen externer Anbieter und Supermarktprodukten der Migros sollte das mehrstöckige Lokal an bester Lage Genussliebhaber und Passanten anziehen.

Allein für die Miete dürfte jährlich ein einstelliger Millionenbetrag fällig geworden sein. Die Gastronomiekonzepte liefen zwar gut, es wurden aber zu wenig Supermarktartikel verkauft. Diese wurden im «Bridge» mit einem ordentlichen Aufschlag im Vergleich zu den Preisen in normalen Supermärkten angeboten, von denen es in der Umgebung einige gibt. Per 1. Januar verkaufte die Migros Zürich das Konzept an lokale Gastronomen. Wie viel Geld sie damit verloren hat, gibt sie nicht bekannt.

Die Migros Zürich hatte auch mit Bauprojekten nicht immer ein glückliches Händchen. Der Umbau ihres Einkaufszentrums «City» in der Zürcher Innenstadt im Jahr 2014 und damit in der Ära Blunschi sorgte für Kritik. Das neue Zentrum wurde als kühl und seelenlos beschrieben, die Umsätze gingen in der Folge zum Teil deutlich zurück.

All diese Flops kommen die Migros Zürich und damit auch die Zentrale teuer zu stehen. Nachdem die Zürcher Regionalgesellschaft für die Jahre 2021, 2022 und 2023 bereits einen kumulierten Verlust von total 144 Millionen Franken ausweisen musste, droht für 2024 gemäss Informationen der «SonntagsZeitung» ein Verlust von 180 Millionen Franken – unter anderem, weil die Tegut-Beteiligung auf Geheiss der Revisionsgesellschaft um 150 Millionen Franken abgeschrieben werden müsse.

Der neue Migros-Zürich-Chef Patrik Pörtig bezeichnete Tegut in einem Interview mit der NZZ gar als «Sanierungsfall». Er hat Filialverkäufe und einen Stellenabbau angeordnet und ein Ultimatum gesetzt: Sollte Tegut nicht bis Ende 2026 schwarze Zahlen schreiben, habe die Kette keine Zukunft bei der Migros. Allerdings macht er für die Situation bei Tegut Entwicklungen wie die Inflation nach den Coronajahren verantwortlich.

Erfahrener Händler für die Migros Aare

Bei der Migros Aare hatte nach dem Rauswurf des «Bulldozers» Anton Gäumann im November 2021 der Händler Reto Sopranetti den Chefposten übernommen. Er musste aufräumen, abschreiben und Verlustquellen stoppen, wie etwa den My-Migros-Lieferdienst. Für ihn war der Detailhandelsprofi Blunschi ein willkommener Sparringpartner.

Migros-Aare-Chef Reto Sopranetti
Migros-Aare-Chef Reto Sopranetti.Bild: zvg

In der Tat hat Blunschi im Kerngeschäft durchaus Erfolge vorzuweisen. Im Vergleich zu anderen Genossenschaften wurden die Zürcher Supermärkte konsequenter modernisiert. Laut eigenen Angaben gewann die Migros Zürich gegen Ende seiner Amtszeit Marktanteile im Supermarkt-Geschäft – und die Gastrotochter Ospena mit ihren Molino-Pizzerien und die Fitness-Tochter Movemi mit den Activ-Fitness-Studios wuchsen zuletzt deutlich. «Auf persönlicher und fachlicher Ebene bedauere ich diesen Schritt», sagt denn Sopranetti zum Rücktrittsentscheid seines Präsidenten. Damit stelle er aber «das Gesamtinteresse der Migros Aare an erste Stelle, was ich sehr begrüsse.»

Jetzt gelte es, frischen Kräften Platz zu machen, hält Blunschi fest. So schnell geht das freilich nicht. Der Nachfolgeprozess wurde gemäss Angaben der Migros Aare mit der Hilfe einer Headhunterfirma, der Verwaltungsrat Management in Luzern, eingeleitet. Das Ziel sei es, «in den nächsten Monaten» fündig zu werden. Die Wahl einer neuen Präsidentin oder eines neuen Präsidenten erfolgt in der genossenschaftlich-komplizierten Migros-Welt nach einem vorgegebenen Auswahlprozess – und muss letztlich vom 60-köpfigen Genossenschaftsrat der Migros Aare abgesegnet werden. Bis es so weit ist, übernimmt der amtierende Vizepräsident Kurt Plattner den Präsidentenjob ad interim. (aargauerzeitung.ch)

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30 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Schurnalischt
20.03.2025 10:11registriert September 2015
Ein in den letzten Jahren grösstenteils erfolgloser Topmanager mit Topsalär und prall gefüllter PK hat sich entschieden zu gehen - wegen dem aus eigener Perspektive ungerechtfertigten Medien- und Öffentlichkeitsdruck auf ihn und sein Umfeld…
Er hat hunderte Millionen an Genossenschaftsgeldern versenkt und bei vielen guten Mitarbeitern „verbrannte Erde“ hinterlassen.
Wir sollten wohl noch Bedauern haben mit dieser „luxuriös“ misslichen Situation(?)
Mit teuren Headhuntermandaten wird ein Nachfolger gesucht. Und die Mitarbeiter müssen bangen um ihren Job und eine kleine Lohnerhöhung. 😶
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Gen X
20.03.2025 10:13registriert August 2023
Und auf wie viele Millionen, die sich die Migros nicht leisten kann, beläuft sich sein goldener Rettungsschirm?
Sprich, wie viele Mitarbeiter*innen müssen büssen, weil die Abgangsentschädigung weitere Kürzungen erfordern wird?
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RemyChe
20.03.2025 09:50registriert August 2022
Köpfe müssen rollen, nur nicht der von Mario Irminger?!? Immer das gleiche Spiel, siehe Swiss Air Lines... Oben wird abgesahnt und danach die Sintflut. Juristisch zur Verantwortung gezogen wird niemand. Justizia ist Blind für die oberen Bosse, weil bei der Staatsanwaltschaft Personal und Know-how fehlt (siehe FIFA). In Bundesbern wird es unterm Teppich gekehrt, lieber noch eine Zahnlose PUK auf Kosten der Steuerzahler (siehe CS), damit unsere Politiker ruhig schlafen können und sich einreden: "Jawoll wir haben was gemacht. Denen da oben haben wir es so richtig gezeigt". Traurig!
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